Mitte der 1920er Jahre widmete sich Adler mit seiner Gruppe der Individualpsychologen in Wien intensiv der Praxis der Erziehungsberatung. Als Ergebnis und Fundierung dieses sozialpädagogischen Engagements kann das Buch »Menschenkenntnis« betrachtet werden. Adler zeigt darin Hintergründe und Motivationen menschlichen Verhaltens auf und will es damit verstehbar machen. Mit dieser Absicht behandelt er im ersten Teil anthropologische Grundfragen wie die »soziale Beschaffenheit des Seelenlebens«, die Beeinflussbarkeit des Kindes in seiner Umwelt oder das »Verhältnis der Geschlechter«. Im zweiten Teil stellt Adler Wesen und Entstehung des menschlichen Charakters ins Zentrum und analysiert verschiedene Charakterzüge sowie trennende und verbindende Affekte. Auch mit seiner Charakterkunde will er zu einem vertieften Verständnis für den Menschen als »Gemeinschaftswesen« anleiten, denn »Irrtümer in der Menschenkenntnis sind lebensgefährlich«, schreibt Adler im Vorwort.So verbindet er mit dieser Schrift eine Sensibilisierung für die Bedeutung der Menschen- und der Selbsterkenntnis mit einer theoretischen Darstellung seiner Individualpsychologie.